Eine katholische Ordensschwester aus den Niederlanden, die zur Göttin wurde Historische Fakten und religiöse Erfahrungen im Tempel der Mutter der Güte in Taoyuan, Taiwan

Piotr Adamek

Wenn Sie in den Bezirk Dayuan 大園區 der nordtaiwanischen Stadt Taoyuan 桃園市 kommen, finden Sie – nicht weit vom Internationalen Flughafen Taiwan Taoyuan entfernt, in einem Ort namens Neihaili 內海里 – einen schönen, volksreligiösen Tempel voller Licht. Der Name des Tempels ist Tongshan ci 同善祠 – Tempel der Güte, und die wichtigste und einzige Göttin, die im Tempel verehrt wird, wird respektvoll Tongshan ma 同善媽 (Mutter der Güte) oder einfach Waiguo ma 外國媽 (ausländische Mutter) genannt. Wie in allen volksreligiösen Tempeln wird hier um Gesundheit und Glück gebetet, Räucherstäbchen werden angezündet, Mondblöcke werden geworfen (zhi jiao 擲筊, Taiwanisch pua̍h-pue 跋桮), um den richtigen Weg zu deuten. Nur ist die Tempelgöttin, die verehrte Mutter der Güte, eine katholische Ordensschwester, eine Missionarin aus den Niederlanden, die angeblich hier in Taiwan vor vielen Jahren das Evangelium verkündet hat. 
Im folgenden Artikel wird der vorläufige Stand der Forschung über den Tempel der Güte in Neihaili (Taoyuan) vorgestellt – ein Phänomen, das vollends der lokalen taiwanischen volksreligiösen Tradition angehört, offenbar aber einen „christlichen“ Ursprung beansprucht, inspiriert durch eine katholische ausländische Missionarin. Historische Fakten, mündliche Überlieferung und religiöse Erfahrungen der lokalen Bevölkerung werden präsentiert und besprochen, verbunden mit der hier verehrten Mutter der Güte. Es wird deutlich, dass hier nicht nur historische christliche Spuren der ausländischen Missionarin aus alten Zeiten zu erkennen sind, sondern auch heute von den Einheimischen eine lebendige Präsenz der guten katholischen „ausländischen Oma“ betont wird, als der Göttin, die der lokalen Bevölkerung bereitwillig bei allen möglichen Problemen hilft. Das macht den Tempel der Güte zu einem natürlichen Ort der Begegnung und des Dialogs zwischen dem Christentum und dem taiwanischen Volksglauben.

Die Geschichte einer Missionarin und ihres Tempels
Vor neun Jahren, im Jahre 2015, wurde an einer Wand des Tempels eine massive moderne Informationstafel angebracht, die die Geschichte des Tempels recht genau und transparent, gemäß der mündlichen Überlieferung, beschreibt. Dasselbe wird man auch von den Einheimischen hören, die sich um den Tempel kümmern und oft zum Gebet dorthin gehen. Gemäß der Information auf der Tafel kam vor „etwas mehr“ als 160 Jahren, das heißt etwa zwischen 1850 und 1853, eine europäische Missionarin – eine niederländische Ordensschwester (Helan xiunü 荷蘭修女) – in das Dorf Neihaili, wo sie bei den Einheimischen lebte und dort „missionierte“. Die lokale Bevölkerung betont als sicher, dass sie eine katholische Schwester war. Es wird jedoch kein Name der Schwester auf der Tafel erwähnt und auch kein Name der Ordensgemeinschaft, der sie angehört haben soll.
Die Schwester konnte offenbar sehr gute Beziehungen zu den Menschen vor Ort knüpfen. Wie man auf der Tafel lesen kann, unterstützte sie, „mit vollem missionarischem Geist“ und voller Güte, die lokale taiwanische Bevölkerung in den vielen Problemen ihres täglichen Lebens. Vor allem half sie Kindern und Frauen sowie Menschen in Not. Offenbar konnte sie verschiedene Krankheiten heilen. So wurde sie schon zu Lebzeiten von den Einheimischen respektvoll „Mutter der Güte“ genannt.
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