Missionsärztlicher Pionier der China Inland Mission oder kommunistischer Märtyrer? Die ungewöhnliche Geschichte eines einflussreichen chinesischen Christen – Dr. Gao Jincheng 高金城 Teil I: Leben und Werk

Ma Tianji

1. Einleitung
Gao Jincheng 高金城, auch bekannt als Kao Gin-cheng und Gao Guting, war laut zahlreichen Berichten der China Inland Mission (CIM; heute: Overseas Missionary Fellowship, OMF) ein Pionier der medizinischen Missionsarbeit im frühen 20. Jahrhundert in China, einschließlich der Region der heutigen Provinz Gansu. Obwohl nur begrenzte Informationen über sein Leben verfügbar sind, können wir einige wichtige Aspekte seines Lebens und seiner missionarischen Arbeit rekonstruieren. Seine Einzigartigkeit lässt sich auf vielfältige Weise ausdrücken. (1) Seine missionarischen Aktivitäten, die sich über mehrere Jahrzehnte erstreckten, verbanden auf kreative und verantwortungsbewusste Weise die medizinische Versorgung der Menschen mit der Verbreitung des Evangeliums. (2) Das Interesse an Gao ergibt sich aus seinem großen gesellschaftlichen Einfluss, der in einigen Fällen zur Rettung von Missionaren beitrug. (3) Gaos Lebensgeschichte wurde auch aus der Perspektive der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) erzählt, obwohl die Authentizität dieser Version alles andere als sicher ist. Offensichtlich wurde sein Leben im Laufe der Zeit in bestimmten Narrativen stilisiert, deren Authentizitätsgrad überprüft werden muss. Dies steht des Weiteren im Zusammenhang mit einigen biografischen Inkonsistenzen, die geklärt werden müssen. Ein Blick auf die vorhandene Literatur in den Medien und der Forschung gibt einen guten Eindruck von der Person Gaos und der kontroversen Dimension seiner Geschichte.

2. Quellen und vorangehende Forschungen
Um eine verlässlich historische Darstellung von Gao zu konstruieren, sind unabhängige Quellen unerlässlich. Sowohl christliche als auch säkulare Quellen, insbesondere letztere, einschließlich die der KPCh, müssen berücksichtigt werden. Zu den bedeutendsten christlichen Quellen, die Gaos Leben und Dienst als medizinischer Evangelist dokumentieren, gehören Berichte in der Zeitschrift China’s Millions der CIM aus den 1920er und 1930er Jahren. Hierzu zählen insbesondere Frank Houghtons Gedenkband für George King, einen Freund und engen Mitarbeiter von Gao, sowie Dokumentationen der CIM-Missionarinnen Mildred Cable und Francesca L. French, basierend auf langfristigen persönlichen Interaktionen mit Gao, seiner Familie und seinen Freunden.
Von säkularer Seite ist es bemerkenswert, dass 2010 in Zhangye in der Provinz Gansu ein Gedenkmuseum zu Ehren des (kommunistischen) „Märtyrers Gao Jincheng“ errichtet wurde. Eine Broschüre des Museums, die über hundert Seiten umfasst, enthält nicht nur einen Lebensbericht von Gao aus der Perspektive der KPCh, sondern auch verschiedene Zeugnisse von Freunden und Familienmitgliedern über ihn.
Die Wissenschaftler Lauren Pfister und Liu Jihua führten in enger Zusammenarbeit mit der Lanzhou University u.a. eine Untersuchung über das Leben von Gao durch. Ihr Fokus lag dabei auf chinesischen Christen und Gemeinschaften im Nordwesten Chinas in den ersten vier Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. Ihre Erkenntnisse sind in einem Aufsatz dokumentiert, der in den Sammelband Shaping Christianity in Greater China. Indigenous Christians in Focus aufgenommen wurde. Dieser versucht einige kontroverse Aspekte von Gaos Leben zu klären, insbesondere sein bis heute ungeklärtes Verschwinden im Jahr 1938, ein Ereignis, das aus kommunistischer Sicht dazu führte, dass er zum heroischen Märtyrer erklärt wurde. Ein bemerkenswerter Verdienst ihrer Studie liegt in der Beschaffung zusätzlicher Informationen von Gaos lebenden Nachkommen durch E-Mail-Korrespondenzen, welche die bereits vorhandenen öffentlichen Dokumentationen ergänzen. So wurden beispielsweise Gaos öffentliche religiöse Aktivitäten und seine frommen Gewohnheiten von seinem jüngsten Sohn, Gao Shijie 高士傑, detailliert beschrieben, was ein lebendiges Bild von Gaos spirituellem Leben vermittelt.
Diese vorliegende Arbeit baut auf dem Aufsatz von Pfister und Liu auf, integriert jedoch zusätzliche, neuere Quellen. Insgesamt liegt der Fokus dieser Arbeit stärker auf Gaos Entwicklung im Hinblick auf seinen christlichen Glauben und seine missionarische Tätigkeit in Verbindung mit der CIM.  Ein zweiter Artikel wird einige kontroverse Aspekte von Gaos Leben analysieren, um die problematischen Facetten der narrativen Konstruktionen sowohl von christlichen als auch kommunistischen Interpreten zu erhellen. Ziel ist es zu zeigen, dass eine eindimensionale Heroisierung dazu neigt, Gaos Lebensgeschichte zu verzerren, indem nicht nur der komplexe historische Kontext, in dem er lebte, aus dem Blick gerät, sondern auch die Breite seines Wirkens und wie es andere inspiriert hat, verschleiert wird.
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