Präventionskonzepte gegen sexualisierte Gewalt: Überlegungen für die Arbeit der Kirche in China mit Kindern und Jugendlichen

Gao Jingchuan
Kaum ein anderes Thema erschreckt und erschüttert die katholische Kirche so sehr wie der sexuelle Missbrauch, der von Priestern und Ordensleuten an Kindern und Jugendlichen begangen wurde. In Deutschland kam Anfang 2010 durch die Stellungnahme von P. Klaus Mertes SJ zu den Missbrauchsfällen am renommierten Jesuitengymnasium Canisius-Kolleg in Berlin regelrecht eine Welle solcher Fälle ans Licht, die sich seit Jahrzehnten im katholischen kirchlichen Raum ereignet hatten (vgl. Ruh 2020, S. 31). Laut der Studie „Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz“ (MHG-Studie 2018) hat es in den Jahren 1946 bis 2014 bei 1.670 Klerikern entsprechende Hinweise auf Beschuldigungen sexuellen Missbrauchs gegenüber Minderjährigen aus 27 (Erz-)Diözesen Deutschlands gegeben. Die Zahl der betroffenen Kinder und Jugendlichen lag bei 3.677 (vgl. MHG-Studie 2018, S. 5). Die Angaben dieser Studie haben mich tief schockiert. Denn wie kann etwas so Schlimmes in der heiligen Kirche geschehen, etwas, was allem widerspricht, was die Kirche lehrt?
Während nach vielen Jahren des Schweigens und Vertuschens inzwischen in der Kirche Deutschlands das Thema „sexueller Missbrauch“ offen und intensiv debattiert und systematisch aufgearbeitet wird, wird es in der Kirche Chinas überhaupt noch nicht aufgegriffen, geschweige denn aufgearbeitet. Gibt es überhaupt sexuellen Missbrauch bzw. sexualisierte Gewalt im chinesischen kirchlichen Raum? Es ist sicher, dass es auch in der Kirche Chinas Missbrauchsfälle gibt, nur spricht man nicht davon, denn sexueller Missbrauch ist in China ein großes Tabuthema, infolgedessen ist dort das diesbezügliche Problembewusstsein auch weniger ausgeprägt. Aber das chinesische Sprichwort „Wenn du nicht willst, dass jemand davon weiß, dann tu es nicht“ (若要人不知, 除非己莫为) rüttelt mich auf, besagt es doch: Alles, was geschehen ist und getan wurde, wird eines Tages publik. Falls also eines Tages traurige Missbrauchsfälle auch in der Kirche Chinas aufgedeckt werden sollten, wird es wohl zu spät sein, wenn das kirchliche Führungspersonal erst dann darauf reagiert und beginnt, professionell damit umzugehen. Es wäre meiner Meinung nach besser, wenn die Kirche Chinas schon jetzt begänne, sich mit dem Phänomen sexualisierter Gewalt zu befassen, es aufzuarbeiten und Präventionsmaßnahmen zu erarbeiten. Da ich als Priester und Sozialarbeiter mit Kindern und Jugendlichen arbeiten möchte, ist mir die Frage ganz wichtig, wie die Kirche Chinas angesichts (möglicher) sexualisierter Gewalt auch ihre Kinder und Jugendlichen besser schützen kann.
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