26. September: Prozess gegen Kardinal Zen hat begonnen

Auf einen Stock gestützt betrat Kardinal Zen am Montag, den 26. September, das Gerichtsgebäude von West Kowloon. Der Prozess gegen ihn und fünf Demokratie-Aktivisten sollte ursprünglich bereits am 19. September beginnen, wurde jedoch wegen einer Corona-Erkrankung der zuständigen Richterin Ada Yim um eine Woche verschoben.

Der 90-jährige emeritierte Bischof von Hongkong war am 11. Mai zusammen mit drei weiteren Aktivisten von der Sicherheitspolizei von Hongkong verhaftet worden, nach einigen Stunden gegen Kaution jedoch wieder freigelassen worden. Zunächst lautete der Vorwurf auf „Kollaboration mit ausländischen Mächten“, sprich Verletzung des nationalen Sicherheitsgesetzes. Danach wurden sie beschuldigt, einen humanitären Fonds, den sie verwalteten, nicht ordnungsgemäß registriert zu haben. Darum geht es jetzt in dem Prozess. Mit dem „Fonds 612“ wurden Demonstranten von 2019 bei der Zahlung ihrer Kosten für Rechtsberatung und medizinische Behandlung finanziell unterstützt. Der Fonds wurde im Oktober 2021 aufgelöst, nachdem die Sicherheitspolizei die Herausgabe von operativen Daten wie Spendernamen und Begünstigte verlangt hatte. Neben Kardinal Zen sind die Angeklagten Rechtsanwältin Margaret Ng, die Popsängerin Denise Ho, das ehemalige Legislativratsmitglied Cyd Ho, der Kulturwissenschaftler Hui Po-Keung sowie der Aktivist Sze-Ching-Wee.

Der Anwalt von Kardinal Zen blieb zunächst zuversichtlich. Laut Robert Pang enthält der von der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellte Aktenstapel keine relevanten Beweise, die einen Verstoß bei der Verwaltung des Fonds belegen würden. Für diesen Vorwurf könnten die Angeklagten im Falle eines Schuldspruchs eine Geldstrafe von ca. 1.300 US-Dollar erhalten. Staatsanwalt Anthony Chao Tin-hang werde in der voraussichtlich bis Freitag dauernden Anhörung 17 Zeugen befragen und acht Stunden Videoaufnahmen von Aktivitäten des Fonds vorführen. Anschließend hätten Verteidigung und Staatsanwaltschaft bis Anfang November Zeit für Eingaben an das Gericht. Wie Domradio die South China Morning Post in Hongkong zitierte, ermittelt die Polizei auf Basis des Sicherheitsgesetzes allerdings parallel zum Prozess gegen Zen und die anderen Personen auch weiterhin wegen des Vorwurfs der „Kollaboration mit ausländischen Mächten“.

Wie Asianews am 28. September berichtete, dauerte die Anhörung unerwartet nur zwei Tage. Nach Ansicht von Richterin Ada Yim wurden genügend Beweise für die Erhebung einer Anklage vorgelegt. Der Prozess soll am 26. Oktober fortgesetzt werden.

Im Mai hatte die Verhaftung von Kardinal Zen weltweite Empörung ausgelöst. Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin hatte sich beunruhigt über die Verhaftung gezeigt. Auf dem Rückflug von Kasachstan am 15. September wurde Papst Franziskus gefragt, ob er den Prozess gegen Kardinal Zen für einen Verstoß gegen die Religionsfreiheit halte. Der Papst antwortete: „Ja, es stimmt, es gibt Dinge, die uns undemokratisch erscheinen, das ist wahr. Der alte Kardinal Zen steht in diesen Tagen vor Gericht, glaube ich. Er sagt, was er fühlt, und man kann sehen, dass es da Grenzen gibt.“ Gleichzeitig betonte Papst Franziskus, dass sie den Weg des Dialogs mit China gewählt hätten, um China zu verstehen: „Wir dürfen nicht die Geduld verlieren.“

Eine starke Unterstützung für Kardinal Zen kam am 23. September 2022 von Kardinal Fernando Filoni. Ab 1992 war er acht Jahre lang in Hongkong tätig, um die Studienmission des Heiligen Stuhls aufzubauen. Von 2011 bis 2019 fungierter er als Präfekt der Kongregation für die Evangelisierung der Völker. In einem offenen Brief in Avvenire betitelt mit „Der Prozess. Mein Zeugnis über Kardinal Zen, hingebungsvoller Sohn Chinas und der Kirche“ beschreibt Kardinal Filoni aus eigener Erfahrung Kardinal Zen als „Chinese durch und durch“, „sehr intelligent, scharfsinnig, mit einem gewinnenden Lächeln.“ Kardinal Filoni geht auf Kardinal Zens Erfahrungen in Shanghai ein, dessen Familie verlor unter der Besatzung der Japaner Hab und Gut und musste fliehen. Der junge Zen habe diese Erfahrung nie vergessen. Daraus schöpfte er seinen beständigen Charakter und Lebensstil sowie eine große Liebe zu Freiheit und Gerechtigkeit. Zens Respekt und seine Unterstützung für die einzelne Person seien immer die Säulen seiner menschlichen und priesterlichen Vision geblieben und so sei es bis heute, „auch wenn er in diesen Tagen in Hongkong vor Gericht steht“. Am Ende seines Briefes schreibt Kardinal Filoni: „Kardinal Zen ist ein ‚Mann Gottes‘, manchmal unbeherrscht, aber der Liebe Christi unterworfen, der ihn als sein Priester wollte, und wie Don Bosco tief in die Jugend verliebt. Für sie ist er ein glaubwürdiger Lehrer geworden. Sodann ist er ein ‚echter Chinese‘. Von niemanden, die ich gekannt habe, kann ich sagen, dass sie wirklich so ‚loyal‘ waren wie er! In einem Prozess ist die Zeugenaussage von grundlegender Bedeutung. Kardinal Zen sollte nicht verurteilt werden. Hongkong, China und die Kirche haben in ihm einen hingebungsvollen Sohn, für den man sich nicht schämen muss. Dies ist ein Zeugnis für die Wahrheit.“

Bereits am 1. September hatte der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Müller, kritisiert, dass während des Konsistoriums Ende August im Vatikan Schweigen zu Kardinal Zen geherrscht habe. In einem Interview mit Il Messaggero sagte er: „Nächsten Monat wird es ein unfaires Verfahren geben. Niemand hat das sehr ernste Problem unseres Bruders Zen angesprochen. […] Es gab keinerlei Dokument der Solidarität, keine Gebetsinitiative für ihn. […] Zen ist ein Symbol und wurde unter einem Vorwand verhaftet, er hat nichts getan, er ist eine maßgebliche, mutige und von der Regierung sehr gefürchtete Persönlichkeit. Er ist über 80 Jahre alt und wir haben ihn allein gelassen.“

In einem gemeinsamen Entschließungsantrag hatte das EU-Parlament am 6. Juli Zens Festnahme verurteilt und gefordert, die Anklage gegen Zen und die anderen vier Treuhänder fallenzulassen. Die Abgeordneten forderten den Vatikan auf, „Kardinal Zen und andere religiöse Würdenträger, die unter Berufung auf die nationale Sicherheit in Hongkong verfolgt werden oder der Gefahr einer Inhaftierung ausgesetzt sind, uneingeschränkt zu unterstützen.“ Sie forderten den Vatikan ferner auf, seine diplomatischen Bemühungen und seinen Druck auf die chinesischen Staatsorgane zu verstärken und zu fordern, dass alle gegen Kardinal Zen erhobenen Anklagepunkte fallengelassen und dass Verfolgung und den Menschenrechtsverletzungen ein Ende gesetzt werde.

Kardinal Zen ist ein großer Verfechter von Demokratie, Menschenrechten und Religionsfreiheit und hat stets an vorderster Front mitgekämpft. Er setzt sich vor allem für die chinesische Untergrundkirche ein und hat so auch immer wieder Kritik am sino-vatikanischen Abkommen über die Ernennung von Bischöfen geübt. Das Abkommen bezeichnete er als Ausverkauf und Verrat an den Untergrundkatholiken. – Der Kardinal wurde 1932 in Shanghai geboren, 1961 zum Priester geweiht und war von 2002 bis 2009 Bischof von Hongkong.

(Quellen [alle 2022]: AFP 26.09.; Avvenire 23.09.; CNN 26.09.; Domradio 26.09.; Il Messaggero 1.09.; Vaticanews 15.09.; www.europarl.europa.eu/doceo/document/RC-9-2022-0358_DE.html; siehe auch China heute 2022, Nr. 2, S. 78-79.)

China-Zentrum, 27. September 2022

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